Im Alter von 52 Jahren nach Grafeneck deportiert: Luise S.

von Anne Schaude, 2013

Erinnerung an die Nürtinger "Euthanasie"-Opfer, gestaltet von Schülerinnen des Max-Planck-Gymnasiums Nürtingen, Foto: Manuel Werner

Im Frühling 1888

wurde die spätere Köchin Luise S. als siebentes Kind ihrer Eltern Christian und Margarete Magdalene S. in Zizishausen geboren und fünf Tage nach ihrer Geburt dort evangelisch getauft. (1)

 

Am 18. April 1931

wurde sie von der Nervenklinik Tübingen aus in die Staatliche Heil- und Pflegeanstalt Weißenau verlegt. (2)

 

Am 24. Mai 1940

kam sie von Weißenau aus in die Landespflegeanstalt Grafeneck und wurde dort getötet. (3)


Der 11. Juni 1940

ist das offizielle Sterbedatum von Luise S. in Grafeneck, das im Familienbuch vermerkt ist. (1)

Um Nachforschungen von Angehörigen zu unterbinden, gehörten systematische Täuschungsmanöver und Verfälschungen vom Zeitpunkt der Tötungen zum Alltag in den Tötungsanstalten. Nicht nur die Opfer selbst, sondern auch die Erinnerungen an sie, sollten gründlich ausgelöscht werden.

 

Luise S. wurde 52 Jahre alt.

Detail eines Stolpersteins, Foto: User:Enslin, Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported

 

Gedenkplatte auf dem Friedhof von Grafeneck, Foto: Anne Schaude, Nürtingen

 

Lt. Statistik wurden im Juni 1940 in Grafeneck 1.300 Menschen vergast, im ganzen Jahr 1940 waren es etwa 10.000 Menschen.(4)

 

Sie waren nach Ansicht der Nazis hinderlich für die "Volksgemeinschaft"

Aus Weißenau wurden insgesamt cirka 600 Kranke vergast. Ihr Leben wurde ausgelöscht und ihre Individualität negiert, weil sie nicht den Nützlichkeitskriterien der Täter dieser Verbrechen genügten: Unnütze Esser, Defektmenschen, Ballastexistenzen, so das Vokabular der NS-Zeit. Die Opfer waren Menschen mit geistiger Behinderung oder psychischer Erkrankung, denen eine geringe Leistungs- und Arbeitsfähigkeit attestiert wurde, Menschen, die von der Justiz als zurechnungs- oder gemeinschaftsunfähig erklärt worden waren, Menschen, die als Langzeitpatienten galten. Alle hatten sie gemein, dass sie sich in Anstalten aufhielten und damit der Volksgemeinschaft in ihrem Existenzkampf, dem Krieg, hinderlich waren. (5)

  • addQuellen
    • 1. StaNt OFB Nr. 4720 und Eintrag im Familienbuch FARI 135 Ziz.
    • 2. StALB: F 235 III, Bü 843, Patientenblatt
    • 3. StANT, Oktober 2013
    • 4. Hrgb. Klee, Ernst, Dokumente zur Euthanasie, FischerTaschenbuch Verlag, Frankfurt/ Main, 2007, ISBN 978-3-596-24327-3, S. 232 f.
    • 5. Stöckle, Thomas, Grafeneck 1940, Die Euthanasie-Verbrechen in Südwestdeutschland, Silberburg- Verlag, Tübingen, 2007, ISBN 978-3-87407-507-7, S. 137f

Text: Anne Schaude, 2013, alle Rechte vorbehalten!