Karl Wilhelm Balz - ein NS-Mordopfer aus Wolfschlugen

Karl Wilhelm Balz wurde 1870 in Wolfschlugen als drittes und erstes überlebendes Kind seiner Eltern geboren. Sein Vater Gottlob Wilhelm war Tagelöhner. Die Mutter Regina, geb. Süß, gebar weitere drei Kinder, von denen nur eines überlebte. Als Karl sieben Jahre alt war, starb sie im Alter von nur 32 Jahren. Der Vater heiratete kurz nach ihrem Tod erneut. Seine neue Frau brachte eine Tochter mit in die Ehe. Acht Monate nach der Eheschließung gebar sie einen Sohn. Karl wurde zu Verwandten gegeben. Von seinen vier Halbgeschwistern starben zwei schon kurz nach der Geburt.

Nach Beendigung der Volksschule arbeitete Karl Balz bei Bauern, als Gipser und Waldarbeiter. Mit 26 heiratete er die gleichaltrige Christiane Stoll. Innerhalb von dreizehn Jahren wurden ihnen zehn Kinder geboren, sieben überlebten. Die Familie lebte in der Waldhäuser Straße in einem kleinen Häuschen in äußerst beengten Verhältnissen. Die Kinder arbeiteten nach der Schule bei Bauern für Naturalien. Die Mutter besserte das karge Haushaltsgeld durch Stickarbeiten auf, die nach Stuttgart an den königlichen Hof und die Wohlhabenden der Stadt verkauft wurden. Oft arbeitete sie bis in die Morgenstunden bei kümmerlichem Licht. Ihr Leben war gegen Ende auch überschattet durch den Tod des ersten Sohnes 1924 als Spätfolge einer Gasverwundung im Ersten Weltkrieg.

Nach dem Tod seiner Frau 1928 traten bei Karl Balz depressive Verstimmungen auf, verbunden mit Selbstanklagen. Da sich diese verfestigten, wurde er in die Tübinger Universitäts-Nervenklinik überwiesen. Nach zehn Monaten wurde er im Juli 1932 in die Heilanstalt Weißenau bei Ravensburg verlegt. Seine Angehörigen besuchten ihn dort in größeren Zeitabständen. 1940 tauchte in Oberensingen ein Mann auf, der aus Weißenau geflohen war und erzählte, dass die Insassen von dort mit grauen Bussen weggeschafft würden und man nichts mehr von ihnen höre. Daraufhin versuchten zwei seiner Kinder, ihren Vater zu sich zu holen – die älteste Tochter und deren Mann hatten in ihrem Haus in Oberensingen ein Zimmer für ihn hergerichtet. Die Ärzte in der Weißenau überredeten sie, den Vater nicht nach Hause mit zu nehmen. Sie wären mit seiner Betreuung überfordert. Bei diesem letzten Besuch sagte ihnen der Vater: „Ich habe schon eine Nummer“ und zeigte ihnen seinen Unterarm, auf dem eine mit Kopierstift geschriebene Zahl stand. Mit dieser Nummer wurde er, statt seines Namens, ab dem Einsteigen in den Bus angesprochen.

Karl Balz wurde am 9. September 1940 mit einem der grauen Busse nach Grafeneck im Kreis Münsingen „verlegt“ und nach der Ankunft dort mit den anderen Businsassen durch Gas getötet. Ihre Leichen wurden verbrannt. Dies geschah im Rahmen der sogenannten T4-Aktion, der Vernichtung „lebensunwerten“ Lebens, der in Grafeneck 10.654 und reichsweit mehr als 70.000 Menschen zum Opfer fielen: geistig Behinderte und psychisch Kranke. Sein Sohn Otto erhielt ein Schreiben der Heilanstalt Grafeneck, in dem ihm der Tod des Vaters aufgrund einer Hirnblutung mitgeteilt wurde mit der scheinheiligen Bemerkung, dass dessen Tod bei seiner Erkrankung letzten Endes eine Erlösung gewesen sei. Weiter hieß es, dass die Angehörigen die Asche des Verstorbenen auf Wunsch gebührenfrei zugesandt bekämen. Besuche in Grafeneck seien aus seuchenpolizeilichen Gründen nicht gestattet. Aus Gründen der Verschleierung wurde als Todesdatum der 19. September angegeben; der Name des Arztes war gefälscht.

Initiiert durch seine Enkelin Irene Kaßberger und ihren Mann, unterstützt von weiteren Verwandten, wurde für Karl Balz und vier weitere Opfer der NS-„Euthanasie“-Morde aus Wolfschlugen auf dem dortigen Waldfriedhof im Bereich des Kriegerdenkmals eine Gedenkstätte geschaffen. Sie wurde von Opfer-Angehörigen sowie mit Spenden, vor allem vom Männerfrühstück und dem evangelischen Frauenkreis von Wolfschlugen, finanziert und am Volkstrauertag 2015 eingeweiht. Dies war möglich durch einen einstimmigen Beschluss des Gemeinderates, empfohlen von Bürgermeister Matthias Ruckh, der die erforderliche Unterstützung durch Mitarbeiter des Rathauses zur Realisierung des Projekts ermöglichte.
 

VON GÜNTER UND IRENE KASSBERGER