Historische Fotos, die Sinti zum Thema haben

Sinti "auf Reise" im Raum Baden, Württemberg und Hohenzollern (1911 bis 1924)

Sofort war Polizei (links oben) zur Stelle, Sinti, wohl im Raum Freudenstadt, Ende 19./Anfang 20. Jahrhundert, Bildrechte: privat, alle Rechte vorbehalten!

Im waldreichen Grenzgebiet zwischen Baden und Württemberg und zwischen Württemberg und Hohenzollern konnte man "auf Reise" bei Platzverweis über die nahe Grenze wechseln, denn Polizisten, Förster,etc. stellten sich in der Regel bald ein, hatten aber im Idealfall einige Kilometer weiter nichts mehr zu sagen. Bereiche des Schwarzwalds (wie hier) boten sich hierzu ebenso an wie Gebiete der Schwäbischen Alb. Ähnlich wie jüdische Viehhändler und Hausierer füllten reisende Sinti eine wichtige Rolle im ländlichen Leben aus, bevor Motorisierung, Zeitung, Radio, Ausbau des Straßennetzes, etc. auch auf dem Land große Veränderungen mit sich brachten und die frühere Existenzgrundlage vieler Sinti mehr und mehr wegbrach.

Die hier präsentierten Fotos sind gestellt, einerseits aus Notwendigkeit wegen der langen Belichtungszeit, andererseits weil dies damals üblich war, und auch deswegen, weil das so genannte "Typische" gezeigt werden sollte, wenn auch mit großer Sympathie. Doch was ist das Typische? Wer definiert, was "typisch" ist? Welche Attribute finden Eingang in die Fotos, welche nicht? Wird dadurch nicht gerne das Andere ausgewählt und das Gleiche, das Bekannte, das Gemeinsame weggelassen? Somit kommt auch ein typisierender, selektiver Einblick des Fotografen aus der Mehrheitsgesellschaft zum Ausdruck, in manchen Bildern mehr, in anderen weniger, der wiederum bestimmte Eindrücke und Motive selektiert.

Dennoch ist es ein Versuch, die abgebildeten Menschen aus ihrer besten Mitte und Pose zu zeigen, in ihrer Würde. Vor allem ist es ein Versuch, zu zeigen, dass sie dazu gehören, zum Land, zum dörflichen Leben, ein Versuch, sie darin einzufügen, zu zeigen, dass sie darin eingefügt waren. Einige Jahrzehnte später machten NS-Verfolger ganz andere Aufnahmen, die ihre "Fotoobjekte" aus derselben Ethnie möglichst nachteilig darstellen sollten und zeigen sollten, dass sie nicht zugehörig seien.

Oben: Fotos des Pfarrers Wilhelm Paret, wohl Wittendorf (Schwarzwald), wohl zwischen 1894 und 1924, rechts unten "Betteli und Franzl", Bildrechte: privat, alle Rechte vorbehalten!

Zeugnisse des Beginns der familienweise "Deportationen" in Württemberg, 1940

Im Mai 1940 war Asperg die Sammelstelle für mehrere Hundert Deutsche Sinti und Roma aus Südwestdeutschland, die von hier familienweise in das besetzte Polen verschleppt und ermordet wurden. Die Festung Hohenasperg bei Ludwigsburg diente vom 16. Mai 1940, an dem die Festnahmen begannen, als Internierungsort. Am 22. Mai fand die "Deportation" statt. Es war die erste Zwangsverschleppung ganzer Sinti- und Roma-Familien von deutschem Boden aus. Bei der Wahl der Motive durch den Fotografen ist zu beachten, dass die Fotos aus dem Bildbestand der "Rassenhygienischen und kriminalbiologischen Forschungsstelle" des Reichsgesundheitsamtes stammen,

Asperg, Deportation von Sinti und Roma, 22. Mai 1940, aus dem Bildbestand der Rassenhygienischen und kriminalbiologischen Forschungsstelle des Reichsgesundheitsamtes, Bundesarchiv, R 165 Bild-244-52 / CC-BY-SA

Auf der Königstraße in Asperg, von Polizei bewacht, unten: Marsch über die Königsstraße in Asperg, rechts Zuschauer.

Asperg, Deportation von Sinti und Roma, 22. Mai 1940, Bundesarchiv, R 165 Bild-244-43 / CC-BY-SA, Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Germany

 

Asperg, Deportation von Sinti und Roma, 22. Mai 1940, Bildbestand der Rassenhygienischen und kriminalbiologischen Forschungsstelle des Reichsgesundheitsamtes, Bundesarchiv, R 165 Bild-244-48 / CC-BY-SA, Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 German

Asperg, Deportation von Sinti und Roma, 22. Mai 1940, Bundesarchiv, R 165 Bild-244-42 / CC-BY-SA, Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Germany

Asperg, Deportation von Sinti und Roma, 22. Mai 1940, Bildbestand der Rassenhygienischen und kriminalbiologischen Forschungsstelle des Reichsgesundheitsamtes, Bundesarchiv, R 165 Bild-244-57 / CC-BY-SA, Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 German

 

Ein weiteres Zeugnis des Weges in die Ermordung 1944: Anna Maria Steinbach - Settela Steinbach

Ein Foto, das das holländische Sinti-Mädchen Anna Maria Steinbach (1934-1944) im Alter von neun Jahren vor der Abfahrt des "Deportations"-Zuges am 19. Mai 1944 vom Durchgangslager nach Auschwitz bereits im Waggon zeigt, ist hier zu sehen: hier klicken!

Sie verbirgt auf diesem Foto ihren bereits kahlgeschorenen Kopf und wurde kurz darauf in Auschwitz-Birkenau vergast. Das sehr bekannte und in Dokumentationen oft gezeigte Foto stammt aus einem Film, den der jüdische KZ-Insasse Rudolf Breslauer (1902-1944) auf Befehl des SS-Sturmführers und Lagerkommandanten Albert Gemmeker im KZ-Sammlelager Westerbork gedreht hat.
Da lange Zeit der Porajmos überhaupt nicht im Fokus war, nahm man einige Zeit bei diesem bekannten Motiv wie selbstverständlich an, dass es sich um ein jüdisches Mädchen handelte.

Erst 1994 wurde recherchiert, dass es eine Sintiza und nicht ein jüdisches Mädchen war, das hier ängstlich aus dem Waggon schaute. Aufbereitete und medial eindrucksvolle Informationen hierzu sind auch hier zu sehen: hier klicken!

Auf der Zeitleiste dort kann man weiter klicken, wenn der gesprochene englisch Text mit den Untertiteln in deutscher Sprache zu Ende ist.

 

Text und Zusammenstellung: Manuel Werner, Nürtingen, Stand: 20. November 2013