Aktion der Nürtinger NSDAP und SA gegen Pfarrer Julius von Jan

Julius von Jan (1897-1964) war ein württembergischer Pfarrer, der wegen einer Predigt am Buß- und Bettag 1938 einen massiven Konflikt mit dem NS-Regime riskierte. Die Gewaltaktion gegen ihn wurde von Nürtinger SA-Kräften maßgeblich getragen, so dass wir ihn hier zu den Nürtinger Leidtragenden zählen.

 

Die folgende Darstellung stammt aus einem Beitrag von Martin Stährmann für den Nürtinger Gemeindebrief 12/2020. Sein Biographie über Julius von Jan haben wir auf unserer Literatur-Seite vorgestellt und besprochen.

Der württembergische Pfarrer Julius von Jan (1897–1964) war ein Kind seiner Zeit – konservativ und national gesinnt. Es war nicht abzusehen, dass dieser stille und friedliebende Mann über sich hinauswachsen und den Nationalsozialisten die Stirn bieten würde. Schon bald nach deren Machtergreifung 1933 erkannte er: Das Hakenkreuz hat mit dem Kreuz der Bibel nichts gemeinsam.Der Landpfarrer in Oberlenningen am Fuße der Schwäbischen Alb folgte seinem Gewissen und prangerte in seiner Predigt am Bußtag im November 1938 die vorherigen Gewalttaten gegen die jüdische Bevölkerung in klaren Worten an. Zitat: „Die Leidenschaften sind entfesselt, die Gebote Gottes missachtet, Gotteshäuser, die andern heilig waren, sind ungestraft niedergebrannt worden, das Eigentum der Fremden geraubt oder zerstört, Männer, die unserem deutschen Volk treu gedient haben und ihre Pflicht gewissenhaft erfüllt haben, wurden ins Konzentrationslager geworfen, bloß weil sie einer andern Rasse angehörten!“ Der Preis dafür war hoch: Misshandlung, Gefängnis, Landesverbot, wieder Gefängnis, später „Kanonenfutter“ an der Kriegsfront. Die Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem hat Julius von Jan für seinen damaligen Einsatz für die bedrohte jüdische Bevölkerung posthum ausgezeichnet mit dem Ehrentitel eines „Gerechten unter den Völkern“. Im Oktober 2020 erhält sein Sohn Richard von Jan stellvertretend eine Medaille und eine Ehrenurkunde. (...)

 

Was hat Julius von Jan mit Nürtingen zu tun?

Im Nürtinger Tagblatt war am 14. November ein „Eigenbericht der NS-Presse“ zu lesen, Überschrift „Die Juden müssen raus“:
„In seiner Rede […] behandelte Reichsorganisationsleiter Dr. Ley die Judenfrage. […] ‚Die Parole heißt heute: Die Juden müssen raus! Und diese Parole muss verwirklicht werden. Der Jude‘, so betonte Dr. Ley, ‚ist der Bazillus mit Menschengesicht, und deshalb ist er der gefährlichste. Mögen in diesen Tagen auch einige Fensterscheiben eingeschlagen und einige Sachwerte vernichtet worden sein, das mag bedauerlich erscheinen. Nicht zu bedauern aber ist, dass die Juden aus unserem Volke ausgetilgt werden. Wir müssen diese Brutalität aufbringen, denn es geht hier um Sein oder Nichtsein unseres Volkes und mit dem sogenannten ‚Taktgefühl der feinen Leute‘ kann man diesen jüdischen Parasiten nicht beikommen.‘“

Bei dieser extremen Verrohung der Sprache überraschte es nicht, dass den Worten schon schlimme Taten gefolgt waren und noch viel schlimmere Taten folgen würden.

Neun Tage nach der Bußtagspredigt versammelten sich in Nürtingen mindestens 200 Nationalsozialisten; die SA und die Hitlerjugend in Nürtingen und Umgebung waren alarmiert worden, in Zivil anzutreten, ohne dass ihnen der Grund verraten wurde.

Die Anführer verteilten kleine Zettel, auf denen stand:

Der Bekenntnishetzer von Jan in Oberlenningen hat sich über die Abrechnung des deutschen Volkes mit dem jüdischen Weltverbrechen in seiner Predigt am 16.11. wie folgt geäußert:
Verdienten Volksgenossen (gemeint sind die J u d e n !!) sei ihr heiligstes Gut geraubt und verbrannt worden! Es werde sich noch rächen ( !! ), was die Regierung gegen die Juden
unternommen habe! Gott möge Hitler die nötige Andacht ( ! ) geben, damit die Verbrechen
aufhören !!  Die Rückgewinnung der 10 Millionen Volksgenossen in Österreich und im Sudetenland sei nur ein äußerlicher Erfolg, innerlich bleibe Rache nicht aus!

 

Die solchermaßen aufgehetzten Horden machten sich nun auf den Weg nach Oberlenningen …"